22.05.2020

„Willkommen im Fußball” in Bielefeld: Wie wirkt sich Corona aus?

Corona hat auch die Angebote des Bielefelder „Willkommen im Fußball“-Bündnisses verändert. Im Interview gibt das Bündnis einen Praxiseinblick in seine aktuelle Arbeit und beschreibt die Chancen und Möglichkeiten, die die Digitalisierung der Trainings und Beratungen mit sich bringt. 

Gewöhnlich bietet das Bündnis wöchentliche Fußballtrainings an, in denen Kinder und Jugendliche mit und ohne Fluchthintergrund aus Bielefeld gemeinsam spielen. Neben dem Fußballtraining finden dazu viele Bildungs- und Berufsorientierungsangebote statt. Zusätzlich dazu fördert das Bündnis die Teilhabe von Mädchen und jungen Frauen mit Fluchthintergrund in außerschulischen Projekten.

Robin Roths vom Bielefeld United e.V. spricht im Interview über den Einfluss und die Veränderungen dieser Angebote aufgrund der Corona-Pandemie.

Was hat sich durch die Corona-Pandemie bei Euch verändert?

Eigentlich hat sich bei uns die ganze Arbeit verändert. Unser Fokus liegt ja auf den Sportangeboten. Durch die Kontaktsperren wurden diese Angebote komplett eingestellt. Daraufhin haben wir überlegt, wie wir unser komplettes Angebot online durchführen und uns mehr auf Social-Media-Kanäle fokussieren könnten, um darüber unsere Teilnehmenden zu erreichen.

In der Zwischenzeit hat sich das schon ein bisschen geändert. Nun versuchen wir nach und nach in die 1-zu-1-Betreuung zu gehen. Dabei treffen sich eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer mit einer Betreuerin oder einem Betreuer einmal die Woche z.B. zum Joggen, Fahrradfahren o.ä. und sprechen dabei auch über Alltagsprobleme – alles natürlich Corona-konform. Dadurch wollen wir den Kontakt zu den Teilnehmenden langsam wiederaufbauen.

Auch intern im Team gibt es Veränderungen. Seit Beginn der Corona-Pandemie versuchen wir, uns alle von Bielefeld United einmal die Woche per Videokonferenz zu treffen und nutzen den Termin für allgemeine Meetings, Brainstorming, die Intensivierung der internen Kommunikation und gemeinsame Konzeptideen. Es tut uns auch psychisch gut und wir können uns hier sehr gut gegenseitig unterstützen.

Wie haben sich Eure Angebote verändert? Welche Herausforderungen gab bzw. gibt es und wie habt Ihr diese bewältigt?

Im Speziellen haben wir alle Angebote – sowohl die Schulangebote als auch die außerschulischen Angebote – voraussichtlich bis zu den Sommerferien erstmal eingestellt. Damit verbunden ist der Kontakt zu den Teilnehmenden in den AGs, Kitas und Schulen leider komplett abgebrochen. Die außerschulischen Angebote, wie z.B. von unserem „Willkommen im Fußball“-Bündnis, versuchen wir durch Videokonferenzen aufzufangen, die wir zweimal die Woche durchführen.

Diese sind 1,5 Stunden lang und dreigeteilt. Wir sprechen zuerst mit den Teilnehmenden über ihre aktuellen Probleme und die Regeln in der Corona-Zeit und versuchen sie so aufzuklären und zu sensibilisieren. Dann moderieren wir ein Bildungs-Quiz mit Fußballfragen und allgemeinen Bildungsthemen, mit dem Fokus auf Deutschland bzw. Bielefeld. Hier können sich die Teilnehmenden interaktiv beteiligen, Fragen einreichen (z.B. Fragen zu Syrien, Irak, Kurdistan) und diese dann auch stellen. Im dritten Teil machen wir 20 – 30 Minuten ein Home Workout mit Sport- und Kraftübungen für zu Hause, schwerpunktmäßig Rückenschule.

Robin Roths vom Bielefeld United e.V. ©Bielefeld United e.V.

Die Herausforderung daran ist, diese Online-Angebote überhaupt zu füllen. In den ersten Wochen haben wir um 15 Uhr angefangen und sind jetzt mittlerweile auf 17 Uhr gewechselt, da vorher viele Teilnehmende aufgrund der neuen Alltagssituationen nicht erreichbar waren. Wir müssen sie auch motivieren, mit in die Kurse zu kommen. Vor den Videokonferenzen schreibe ich dafür immer einzelne Personen an und lade sie ein, meist ab ca. 15:40 Uhr. Wenn am Ende zwischen sechs und acht Personen teilnehmen, ist es ein gutes Treffen. Dabei sind Teilnehmende, die vorher schon zuverlässig teilgenommen haben, nun ebenfalls regelmäßig dabei. Für andere ist das Online-Angebot nun passender und sie nehmen regelmäßiger teil – und umgekehrt. Das Gute daran ist, dass der Zugang nun niedrigschwelliger ist und lange Anfahrten wegfallen.

Einige Teilnehmenden erreichen wir allerdings nicht mehr mit den Angeboten, da sie sich nicht trauen, über eine Kamera zu sprechen. Alternativ nur mit Ton an den Videokonferenzen teilzunehmen möchten sie nicht. Zwei- bis dreimal pro Woche versuchen wir, auf Social Media aktuelle Informationen zur Situation und ein Fitnessprogramm für alle anzubieten – auch die Teilnehmenden, die momentan nicht an unseren Angeboten teilnehmen: 1x pro Woche Fitnessprogramm, 1x Corona-Regeln (z.T. auch in allen Sprachen) und 1x optional eine Challenge.

Welche besonderen Bedürfnisse nehmt Ihr aktuell bei den Teilnehmenden wahr? Wie geht Ihr damit um?

Ein klares aktuelles Bedürfnis ist die niederschwellige Sensibilisierung bzw. Erklärung der Corona-Problematiken, z.B. individuelle Fragen zur Maskenpflicht, zur Länge der Einschränkungen oder den Zugang zu Behörden, wenn der Aufenthaltsstatus abläuft. Die neuen Corona-Regeln sind mitunter schwer verständlich für die Teilnehmenden und müssen deutlich und ausgiebig erklärt werden.

„Ein klares aktuelles Bedürfnis ist die niederschwellige Sensibilisierung bzw. Erklärung der Corona-Problematiken“

Wir bereiten die jungen Geflüchteten darauf vor, dass die Einschränkungen noch etwas länger anhalten können und geben ihnen Tipps für den Umgang damit. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Vermittlung, warum es wichtig ist, einen strukturierten Alltag zu haben und was gesundheitsfördernd ist. Gleichzeitig zeigen die Teilnehmenden den deutlichen Bedarf, mit anderen Menschen zu interagieren.

Was hat Euch positiv überrascht? Welchen interessanten Lerneffekt gab es?

Wir haben festgestellt, dass der Bedarf unserer Arbeit trotzdem noch vorhanden ist, obwohl wir gerade unsere Sportprojekte nicht durchführen können. Positiv überrascht hat uns auf jeden Fall auch der gute Start der Online-Beratungen. Hier haben wir recht schnell relativ viele Kinder und Jugendliche erreicht.

Welche Aspekte nehmt Ihr für die Arbeit in Zukunft mit?

Aufgrund der positiven Rückmeldungen und der regen Teilnahme wollen wir in Zukunft, auch nach Corona, einmal pro Woche ein Webinar oder eine Online-Sprechstunde anbieten. Die Sprechstunden sind unser Projekt für die nächsten Wochen. Hier wird eine Person aus dem Team zwei bis drei Stunden für die Teilnehmenden online erreichbar sein, beispielsweise für alltägliche Fragen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir die Online-Beratung auch nach Corona in irgendeiner Art weiterführen oder unseren Sprachunterricht noch digitaler ausbauen werden. Für unsere Arbeit als Team werden wir versuchen, das digitale Teamtreffen auch weiterhin beizubehalten. Da wir sowieso dezentral in zwei Büros arbeiten, bietet sich das gut an.

Welche Tipps und Hinweise habt Ihr für andere Praktikerinnen und Praktiker?

Die persönliche und individualisierte Einladung der Kinder und Jugendlichen für die Teilnahme an den Online-Angeboten ist besonders wichtig. In den Messenger-Gruppen fühlen sich die Teilnehmenden nicht direkt angesprochen und aufgefordert, zu- oder abzusagen. Die individuelle Nachricht motiviert zur Teilnahme. Dafür sollte man genug Zeit einplanen. Das kann ich als Tipp weitergeben.

Abgesehen davon dürfen die Online-Angebote an sich nicht nur theoretisch und einseitig organisiert sein. Wir versuchen, die Teilnehmenden mit ins Gespräch zu holen. Fragen nach, ob sie wissen, wie die aktuelle Situation in ihrer Heimat ist. Beziehen sie mit in das Gespräch ein, damit sie etwas über sich erzählen. Wir geben ihnen die Möglichkeit, Quizfragen vorzubereiten und diese auch zu stellen. Kommunikation auf Augenhöhe ist hier die richtige Umschreibung denke ich.

Der DSC Arminia Bielefeld, Bielefeld United e.V. und der Fan-Projekt Bielefeld e.V. sind Partner des Bielefelder „Willkommen im Fußball“-Bündnisses. Alle Informationen zu „Willkommen im Fußball“ gibt es hier.

„Willkommen im Fußball” ist ein Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, initiiert und gefördert von der DFL Stiftung und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.

Weiterführende Links:
• Tools für Videochat oder Videokonferenzen sind in dieser Übersicht aufgelistet
• Tools für die Beteiligung von Jugendlichen bietet diese Website