21.02.2017

„So viel Homogenität und Schutz wie (noch) notwendig“

Interview mit Prof. Dr. Petra Gieß-Stüber, Leiterin des Arbeitsbereichs Sportpädagogik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Dr. Berndt Tausch, geschäftsführender Vorstand der Freiburger step stiftung.

Prof. Dr. Petra Gieß-Stüber, Herr Dr. Tausch, was sind Ihrer Erfahrung nach Hindernisse für Geflüchtete auf dem Weg in einen Amateurverein?

Kinder und Jugendliche, die erst seit kurzem in Deutschland sind, kennen unsere Organisationsform „Sportverein“ nicht. Den meisten Jugendlichen, die wir in Vereine begleitet haben, sind Abläufe und Rituale des Vereinslebens und eines regelmäßigen Trainings unvertraut. Sowohl Mädchen als auch Jungen, die Gelegenheit hatten, in einer Vereinsgruppe mit zu trainieren, hören häufig bald wieder auf, weil sie nicht Fuß fassen können. Sie haben nicht das „richtige“ Sportzeug, können nicht „mitreden“, kennen aufgrund einer anderen Sportsozialisation den systematischen Übungsbetrieb nicht und fühlen sich permanent überfordert. Der Weg zu den Trainingsstätten ist ein zusätzliches Problem. Für die meisten besteht eine große Hürde darin, sich allein auf den unbekannten Weg zu machen. Bei den Mädchen sind die Eltern sehr besorgt. Da für die Eltern in dieser besonders schwierigen Lebenssituation andere Prioritäten im Vordergrund stehen, fehlen ihnen die Zeit und die Ressourcen, um ihre Kinder zu unterstützen. Zudem haben sie in aller Regel nicht die sprachlichen Möglichkeiten, sich mit den Vertreterinnen und Vertretern der Vereine zu verständigen. Die Motivation, ein regelmäßiges Engagement einzugehen, wird auch dadurch beeinträchtigt, dass der Aufenthaltsstatus oft unsicher ist und niemand weiß, wie lange er am Ort sein kann.

 

Wie sieht der Ansatz im Programm „kick für soziale Entwicklung“ aus, um Geflüchtete und auch andere Gruppen, die mit dem Vereinssystem nicht vertraut sind, in Vereine zu vermitteln?

Begonnen haben wir mit Fußball-AG-Angeboten für Mädchen an Schulen mit besonders hohem Anteil an Schülerinnen aus sozial benachteiligten Lebensverhältnissen. Darunter ist immer ein sehr hoher Anteil an Migrantinnen. Mit den Sportangeboten sollen informelle Bildungsräume geschaffen werden, in denen die Kinder grundlegende sportartorientierte Spielfähigkeiten erwerben, Regeln für das Miteinander aushandeln und Anerkennung und Zugehörigkeit in einer Sportgruppe erfahren. Das ist die Voraussetzung für die Integration in die lokale Sportlandschaft jenseits der Schule.

Für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung haben sich unterschiedliche Angebotsformate entwickelt. Nach dem Prinzip „so viel Homogenität und Schutz wie (noch) notwendig und so viel Öffnung für Gleichaltrige ohne Fluchterfahrung wie möglich“ entstehen verschiedene Gruppen: mobile Kick-Treffs im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften, Schul-AGs öffnen sich für Geflüchtete, junge Frauen treffen sich in einer geschützten Halle. Jungen und Mädchen, die die spielerischen Voraussetzungen für ein Vereinstraining haben, dürfen in einem unserer Kooperationsvereine unverbindlich mit trainieren. Sie werden die ersten Male von Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern begleitet.

 

Was raten Sie Trainerinnen und Trainern von offenen Sportangeboten, die Spielerinnen und Spieler in Vereine vermitteln wollen?

Um im Rahmen eines offenen Sportangebots jungen Menschen mit Fluchterfahrung einen Zugang zum Sportverein zu ermöglichen, sollten sukzessive Regeln in den Spielbetrieb eingeführt werden, die auch im Verein einzuhalten sind. Das ist anspruchsvoll, wenn es keine gemeinsame Sprachbasis gibt. Die Trainerinnen und Trainer sollten sowohl die zu vermittelnden Kinder und deren Eltern kennen als auch die lokalen Unterstützungsstrukturen und den Zielverein. Sie sollten alles daransetzen, die Eltern mit ins Boot zu holen, Sportkleidung zu organisieren und zu klären, wie das Kind zum Trainingsplatz und zurück kommt. Die Trainingsgruppen müssen auf die neue Konstellation eingestimmt werden. Im Training sollten Begrüßungs- und Kennenlernspiele eingebaut werden. Möglichst sollten mehrere Spielerinnen oder Spieler in eine Trainingsgruppe gehen, die sich schon kennen. Die kick-Trainerinnen und -Trainer betonen in ihren Rückmeldungen, dass sie neben fußballmethodischen Kenntnissen insbesondere pädagogische und interkulturelle Kompetenzen benötigen, aber auch viel Geduld und Herzblut für diese – trotz aller Hürden – lohnende Aufgabe.

 

Frau Prof. Dr. Gießstüber und Herr Dr. Tausch verantworten gemeinsam das Programm „kick für soziale Entwicklung“. Das Ziel ist es, Freiburger Schülerinnen und Schüler sowie Kinder und Jugendliche aus Flüchtlingsunterkünften mit Sport- und Bewegungsangeboten zu erreichen, die aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituation kaum Zugang zum organisierten Sport haben. Mehr als 250 Kinder und Jugendliche nehmen an den wöchentlichen Angeboten teil.

 

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