Zeichnung einer Katze, die einen Saft durch den Strohhalm trinkt, mit der Aufforderung sich tatsächlich gegen Rassismus zu engagieren Im digitalen Workshop „Von der Bundesliga bis zur Kreisklasse: Rassismus wirksam entgegentreten.“ wurde diskutiert, wie Vereine und Verbände Diskriminierung im Fußball entgegenwirken können.

02.11.2020

Von der Bundesliga bis zur Kreisklasse: Rassismus wirksam entgegentreten

Wie können sich engagierte Personen in Vereinen vor Anfeindungen schützen? Wie gelingt es, aus dem Amateurverein einen diskriminierungssensiblen Raum zu machen, in dem sich alle wohl und sicher fühlen können? Diese Fragen wurden im Workshop „Von der Bundesliga bis zur Kreisklasse: Rassismus wirksam entgegentreten.“ am 5. Oktober 2020 im Rahmen der digitalen „Willkommen im Fußball“-Dialogwoche diskutiert.

Im Frühjahr 2018 eskaliert ein Spiel in der Leipziger A-Jugend-Stadtliga. Wie schon beim Hinspiel fallen erneut rassistische Pöbeleien gegen die Spieler vom FC Blau-Weiß. Nach einem Elfmeterpfiff kommt es zu Rangeleien, der Trainer der gegnerischen Mannschaft schlägt den Torwart, die Zuschauenden können nur mit Mühe davon abgehalten werden, das Spielfeld zu stürmen. Trainer Alaa Shehabi rettet sich mit seiner Mannschaft schließlich in die Kabine, wo er ausharrt, bis die Polizei kommt. Sein Bericht von dem Vorfall löst in der Workshop-Runde Bestürzung aus. Viele der Teilnehmenden engagieren sich seit Jahren gegen Rassismus im Fußball und kennen die Konflikte. Was Shehabi und seine Mannschaft erlebt haben, ist eher ein extremes Beispiel, doch Shehabi weiß auch, dass Spielerinnen und Spieler mit Migrationshintergrund immer wieder rassistische Beleidigungen erleben und die Erlebnisse oft für sich behalten: „Die Schiedsrichter sagen einfach nur: ‚Solange ich nichts gehört habe, kann ich nichts machen’.“

Umso wichtiger ist es, dass Sportvereine und -verbände klar Position beziehen. Doch bislang gehen die Landesverbände sehr unterschiedlich mit rassistischen Vorfällen um. Nicht überall werden die Vorfälle überhaupt ernst genommen, meint Julius Peschel vom LandesSportBund Niedersachsen. Wünschenswert wäre daher ein geregeltes Sanktionswerk, das für alle Verbände gelte. „Als Verband muss man zudem darauf bestehen, dass die Richtlinien in den Vereinen auch umgesetzt werden“, ergänzt Elke Robert vom Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen.

Als einen wichtigen Schritt bewerten die Workshop-Teilnehmenden die Einführung der zentralen Anlaufstellen für Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen, die in allen Landesverbänden eingerichtet werden. Zusätzlich bräuchten die Vereine und Verbände aber auch unabhängige externe Beraterinnen und Berater, wie beispielsweise Beratungsstellen für Betroffene, mobile Beratungsteams oder ähnliches, die da unterstützen könnten, wo interne Beteiligte betriebsblind seien, betont Angelika Ribler, Referentin bei der Sportjugend Hessen.

Wenn ein Spiel aufgrund von Rassismus abgebrochen wird, landet der Fall normalerweise bei der Sportgerichtsbarkeit. Angelika Ribler kritisiert, dass rassistische Vorfälle bislang vor allem durch Sperren und Geldstrafen geahndet werden. Wichtig sei aber, solche Fälle wirklich aufzuarbeiten, Unterstützungsangebote zu suchen und auch die Opfer in den Blick zu nehmen. Am besten schafft man beides zugleich, meint Thorsten Schenk, Referent für Gesellschaftliche Verantwortung beim Hessischen Fußball-Verband. So werden in Hessen bei rassistischen Beleidigungen und Schlimmerem deutliche Strafen erteilt, um klare Grenzen zu setzen. „Das ist zumeist mit der Chance verbunden, die Strafe zu mildern, wenn der Verein oder das betroffene Team an konfliktlösenden Maßnahmen teilnehmen“, berichtet Schenk. Zudem versuche der Landesverband, sowohl den Täter- als auch den Opferverein zu unterstützen.

Doch was ist eigentlich Rassismus? Moderator Robert Claus stellt gleich zu Beginn fest, was Rassismus ausmacht: zum einen die Konstruktion der Differenz, die Unterschiede aufgrund von Herkunft, Hautfarbe und ähnlichem betont, und zum anderen, als ein weiteres notwendiges Merkmal, Machtstrukturen, wie etwa die Vorrechte der Etablierten. Eine Teilnehmerin berichtet von einem Konflikt in einem Verein, bei dem Geflüchtete andere Geflüchtete aufgrund von Hautfarbe und Religion abwerten. Ihre Frage, ob das nicht auch Rassismus sei, löst in der Runde eine Diskussion aus. „Ja, Rassismus gibt es auch unter Leuten, die nicht in Deutschland geboren sind“, meint etwa Jermaine Greene, Fanbetreuer bei Werder Bremen. Eine andere Teilnehmerin entgegnet, das sei kein Rassismus, weil Machtstrukturen in dem Fall keine Rolle spielten. Denn bei Rassismus gehe es weniger um Stereotypen in den Köpfen der Einzelnen als vielmehr um politische, ökonomische und kulturelle Dominanzverhältnisse. Ein weiterer Teilnehmer betont zusammenfassend, dass gerade der Fußball einen neutralen Raum biete, um in den Dialog zu kommen und unreflektierte Denkmuster zu überprüfen. Das kann Alaa Shehabi bestätigen: „Wir haben in meiner Mannschaft solche Konflikte überwunden. Wir haben verstanden, dass wir mit 18 Nationen zusammenspielen und viel Neues voneinander gelernt.

Insgesamt sieht Angelika Ribler bei den Vereinen und Verbänden eine deutliche Entwicklung. Und dennoch: „Rassismus wird oft noch verstanden als ‚A beleidigt B’. Erst langsam fangen die Organisationen an, auf sich selbst zu blicken: Wer sitzt bei uns im Vorstand? Wer trifft die Entscheidungen? Spiegelt unser Verein oder Verband die Vielfalt in unserem Dorf, Stadtteil, Bundesland wider?“ Teilhabe müsse auf allen Ebenen der Vereine und Verbände gewährleitest sein. Nur so könne auch der strukturelle Anteil von Rassismus angegangen werden, meint Ribler.

Andrés Nader, Geschäftsführer der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) in Berlin nickt zustimmend: „Rassistische Vorfälle scheinen in den Vereinen noch immer vor allem ein PR-Problem zu sein.“ Dabei könnten sie von Diversität profitieren. Denn gerade durch Vielfalt könnten die Vereine die besten Talente versammeln und auch ein breiteres Publikum ansprechen.

Vor allem eins wird während des Workshops immer wieder deutlich: wie wichtig eine Sensibilisierung für das Thema Rassismus ist, im Fußball genauso wie in der Gesellschaft insgesamt. Und das bedeutet, die Menschen mit Rassismuserfahrungen ernst zu nehmen und zudem bestehende Strukturen zu hinterfragen.

Ergänzend zu diesem Bericht findet ihr unter folgendem Link eine Visualisierung der besprochenen Inhalte in Form von „Graphic Recordings“. Alle anderen Materialien zu diesem Workshop und den weiteren Veranstaltungen der „Willkommen im Fußball“-Dialogwoche findet ihr hier.

Text: Wibke Bergemann
Graphic Recording: ©DKJS/graphicrecording.cool

„Willkommen im Fußball“ ist ein Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, initiiert und gefördert von der DFL Stiftung und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.