10.11.2016

Integration durch Fußball, quo vadis? Der Willkommen im Fußball-Fachtag in Berlin

Mit den Geflüchteten kamen auch die Versuche, sie willkommen zu heißen. Seit 2015 hat sich viel getan – auch durch und über den Fußball. Was hat es auf sich mit der sprichwörtlichen Integrationskraft dieses Sports? Wo stehen die Vereine? Und was brauchen sie, um ihr Potential noch besser nutzbar zu machen? Vor diesem Hintergrund lud das von der Bundesliga-Stiftung mit initiierte bundesweite Integrationsprogramm „Willkommen im Fußball“ zum Internationalen Fachtag: Profisport mit Verantwortung – Gemeinsam für Integration am 8. November nach Berlin ein. Vorträge und Workshops boten Raum für die Fragen, wie der Profisport sein Integrationspotential ausschöpfen kann, um seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Erste Evaluationsergebnisse machten deutlich, auf welchen Ebenen „Willkommen im Fußball“ mit seinen mittlerweile 21 Bündnissen zwischen Proficlubs, Amateurvereinen und lokalen Akteuren der Flüchtlingsarbeit wirkt. Der Fachtag richtete sich an Akteure aus Proficlubs, Liga- und Sportverbänden jeglicher Sportarten aus dem In- und Ausland, Politik, NGOs und Stiftungen.

Multiethnische Mannschaften, Angehörige verschiedener Kulturen und Religionen, die sich gemeinsam für das gleiche Ziel einsetzen – „Auf dem Platz funktioniert das! Warum?“, eröffnet Moderatorin Dunja Hayali das Gespräch. Sie nennt Fußball gar eine „universelle Sprache“. Die gleichen Regeln weltweit, Begeisterung über alle Altersschichten und sozialen Gräben hinweg, „das an sich ist schon integrativ“, stellt Aydan Özoğuz, die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, im Gespräch mit Christian Seifert, Geschäftsführer der DFL Deutsche Fußball Liga GmbH, fest. Die Podiumsdiskussion zieht Bilanz über das Projekt, seine erfolgreiche Entwicklung und das Potenzial, das noch erreicht werden kann.

Zusätzlich bot der sehr gut besuchte Fachtag mit mehreren Vorträgen und weiteren Diskussionsrunden ein Forum für die verschiedenen Akteure im Projekt.

Wenn Ärzte Fußball auf Rezept verschreiben könnten, sie würden es wohl tun. „Frisch Geflüchtete laufen Gefahr, in Depression zu versinken“, sagt Sonja Brogiato, Sprecherin des Flüchtlingsrats Leipzig. „Fachärztlicher Rat lautet in diesem Fall: Viel Bewegung an der frischen Luft, und eine Tagesstruktur, die Halt gibt.“ Beides bietet der Fußball. Beim Kicken die eigenen Sorgen und Nöte vergessen, und Freundschaften und Kontakte knüpfen, die oft weit über die gemeinsame Zeit auf dem Platz hinausreichen – Mohammed Ahmadi von „CHAMPIONS ohne GRENZEN e.V.“ hat diese Erfahrung selbst gemacht. Vor fünf Jahren kam er aus Afghanistan nach Deutschland, heute ist er selbst Trainer. Seine blauen Augen leuchten auf, als er sagt: „Das macht mir solchen Spaß, dass ich meine Sorgen vergesse. Stattdessen denke ich über die Probleme der Kinder nach, die ich trainiere – und das ist cool.“

Dass Fußball in Sachen Integration vieles erleichtern und bewegen kann, darin sind sich alle einig. Aber wie genau geht das vonstatten? Und was hat sich getan im letzten Jahr? Aydan Özoğuz, neben der Bundesliga-Stiftung Mit-Initiatorin des Programms „Willkommen im Fußball“, betont: „Das ist vor Ort entstanden, das war gelebt. Die Vereine kamen auf uns zu und sagten: ‚Bei uns sind da ein paar Jungs aufgetaucht – wir machen da mal was.‘“ Die Projektidee funktioniert: Es gibt nach nur einem Jahr bundesweit bereits 21 sogenannte Willkommensbündnisse. Dabei tun sich jeweils ein Club der Bundes- oder 2. Liga mit lokalen Amateurvereinen und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft zusammen, um sich gemeinsam für gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten einzusetzen – mit ausdrücklich niedrigschwelligen, vom Aufenthaltsstatus unabhängigen Angeboten. Offene Trainingseinheiten mit anschließendem Deutschkurs im Stadion sind nur ein Beispiel für die vielen Formen, die Vereine finden, um Fußball mit Qualifizierungs- und Vernetzungsangeboten zu kombinieren, und spielerisch Türen in die Mehrheitsgesellschaft zu öffnen. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) übernimmt als Projektträger die Gesamtsteuerung und Qualifizierung dieser Partner und Aktivitäten. Heike Kahl, Geschäftsführerin der DKJS, unterstreicht die Besonderheit dieser Zusammenarbeit: „Wir Deutschen lieben ja die Ausreden, und fragen gerne: ‚Wer ist zuständig?’ Das war hier völlig anders. Die haben nur gefragt: ‚Was gibt es zu tun?’“

Profifußball übt eine besondere Faszination aus. Zu Bundesligaspielen sitzen bis zu 17 Millionen Menschen vor den Bildschirmen. Andreas Luthe, Torwart beim FC Augsburg und Gründer von „In Safe Hands e.V.“ wünscht sich von seinen Spielerkollegen „mehr Eigeninitiative“, um diese PS auch auf die Straße zu bringen. Luthe hat, damals noch beim VfL Bochum, „einfach angefangen“, indem er kurzerhand ein Training für Geflüchtete anleierte, das er nun auch in Augsburg aufgezogen hat. Projekte wie „Willkommen im Fußball“ findet Luthe „ideal geeignet“, um auch Profispieler für das Thema zu sensibilisieren.

Das Potential ist groß, und doch könnte es noch effektiver genutzt werden. Mädchen und Frauen besser zu erreichen und einzubinden ist ein Ziel, über das sich alle einig sind. Der Bedarf sei da, betont Sonja Brogiato: „Je länger die da sind, desto ausgeprägter wird bei ihnen der Wunsch, Fußball zu spielen oder einen naturwissenschaftlichen Beruf zu ergreifen. Also Freiräume zu nutzen, die sie in ihren Herkunftsländern nicht hätten.“

Über Willkommen im Fußball:
Willkommen im Fußball ist ein Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, initiiert und gefördert von der Bundesliga-Stiftung und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.

Das Programm ermöglicht jungen Geflüchteten bis 27 Jahren durch niedrigschwellige Angebote den Zugang zum Sport und unterstützt so, auch über den organisierten Fußball hinaus, die Integration und das gesellschaftliche Miteinander. Das Programm setzt dabei auf Bündnisse. Dahinter steht die Kooperation eines Clubs der Bundesliga oder 2. Bundesliga mit lokalen Bildungsträgern, bürgerschaftlichen Initiativen oder kommunalen Akteuren sowie Amateurfußballvereinen. Neben offener Trainingsangebote oder regelmäßiger Fußballturniere bieten die lokalen Bündnisse auch Kultur-, Bildungs-, Qualifizierungs-, und Vernetzungsangebote an.

An bisher 21 Standorten gibt es mitterweile Willkommensbündnisse: Berlin-Köpenick, Berlin-Spandau, Bielefeld, Bochum, Braunschweig, Bremen, Darmstadt, Dortmund, Dresden, Freiburg, Fürth, Hamburg (HSV), Hamburg (FC St. Pauli), Hannover, Ingolstadt, Leipzig, Leverkusen, Mainz, Nürnberg, Paderborn, Stuttgart.

Mehr Informationen zum Projekt finden Sie auf www.dfl-stiftung.de/willkommen-im-fussball.de.