02.04.2018

Ich will kein Mitleid

Baraa hat in seinem Leben schon viel erlebt. Im Rahmen von „Willkommen im Fußball“ trainiert er nun junge Erwachsene aus Gambia, dem Irak und Syrien.

Baraa ist keiner, der mit seinem Leid hausieren geht. Dabei reicht das, was der Syrer an Angst, Verzweiflung und Gewalt erfahren hat, für drei Leben. Seine Fluchtgeschichte erzählt man am besten gerafft. In Syrien war der heute 26-jährige Baraa eineinhalb Jahre lang Mitglied der Armee von Assad. Zuerst sechs Monate in Damaskus, dann in Aleppo. In einem Gefängnis bewachte er 100 Inhaftierte der freien Armee, der Opposition also. In dem Gefängnis wurde gefoltert, getötet. Daran beteiligt war er nicht, sagt er. Er hatte keinen Kontakt zu Gefangenen. 

Bei einem Überfall wurde er weggebracht. Doch er hatte Glück, die Soldaten waren freundlich, beruhigten ihn und gaben ihm Datteln mit Milch zu essen. Sie wollten über ihn bloß an Informationen kommen. Baraa erzählte jedoch nur von sich selbst. „Ich hatte Angst, falsche Informationen zu geben, und deshalb möglicherweise für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein.“ Die freie Armee versuchte, ihn abzuwerben. Er weigerte sich. „Ich kämpfe nicht für und nicht gegen sie“, sagt er. „Ich töte niemanden.“ Wer so denkt, muss Syrien verlassen. Er ließ sich also weder der Assad-Armee noch der freien Armee zuordnen, weshalb sein Leben in Syrien in Gefahr gewesen wäre. Die Polizei in Aleppo geht davon aus, dass er beim Kampf um das Gefängnis getötet wurde, wie viele Insassen. In seiner Heimat wissen nur seine Eltern und fünf Brüder, dass er noch lebt.

Baraa schaffte es nach Istanbul, wo er drei Jahre täglich zwölf Stunden in einer Textilfirma als Schneider arbeitete. Wer dort keine Papiere hat, erhält nur den Drittel des Lohnes. Er versuchte, nach Sofia zu gelangen, um an Dokumente zu kommen. Einem Schleuser gab er 1.000 Dollar. Er scheiterte an der Grenze. Eine Woche war er dafür im Gefängnis. Mittellos kehrte er, teilweise zu Fuß, hunderte Kilometer nach Istanbul zurück, doch das Ziel Westeuropa blieb. Ein Freund arbeitete am Hafen von Izmir, im Westen der Türkei. Von dort setze er vier Monate später mit einem Boot und 40 Personen auf die griechische Insel Khios über. Von dort schlug es sich nach Athen durch. Dann zu Fuß, mit dem Bus oder dem Zug über Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich. Er schlief oft auf der Straße. Schließlich Deutschland. Zuerst Leipzig, im November 2015 stand er dann am Nürnberger Hauptbahnhof. Derzeit lebt er in einer Nürnberger- Flüchtlingsunterkunft. Wenn er von seiner Flucht über die Balkanroute nach Deutschland erzählt, lächelt er sogar manchmal. Vielleicht will er all das Schreckliche maskieren.

Seine Zukunft ist ungewiss. Im Moment lebt er von 900 Euro im Monat. Ein neutraler Soldatenpass gewährt ihm Aufenthaltsgarantie in Deutschland. Baraa besitzt einen Schutzstatus. Im Februar erhielt er erst einmal eine dreijährige Aufenthaltsgenehmigung. Doch wenn der Krieg in Syrien vorbei ist, muss er zurück.

Baraa spricht sehr gut Deutsch, jeden Tag lernt er mehrere Stunden. Die mündliche Prüfung hat er bestanden, die schriftliche folgt im Februar. Er hat Abitur und ein Kunststudium begonnen. Der Besuch einer Universität in Deutschland ist jedoch nicht möglich. Deshalb möchte er eine Lehre zum Bauzeichner oder Fachinformatiker absolvieren.

Und dann ist da noch der Fußball, der alle verbindet. In Syrien seiner Heimat kickte Baraa ab der 9. Klasse drei Jahre im Verein Nawaher. Dort war er auch Trainer. „In Syrien sind die Menschen fußballverrückt“, sagt er. „Es wird gestritten, geschlagen, gekämpft. Die Polizei muss oft einschreiten.“ Heimisch geworden ist er nun auf den Trainingsplätzen des ASN Pfeil Phönix und SC Viktoria Nürnberg.

Für das „Willkommen im Fußball“-Bündnis des 1. FC Nürnberg, trainiert er seit mehr als einem Jahr junge Erwachsene aus Gambia, dem Irak und Syrien. Er ist Ansprechpartner und Vermittler für die irakischen und syrischen Jungs. 

Er ist sehr zuverlässig“ und aufgrund seiner Größe und Ausstrahlung besitzt er ein gutes Standing, sagt Andrea Ackermann, Integrationsbeauftragte des SportService Nürnberg bei der Stadt Nürnberg, die ihn betreut und über den Sport hinaus unterstützt. „Er nimmt in der Mannschaft eine Führungsrolle ein.“

Durch niedrigschwellige Sport-, Sprach und Bildungsangebote erleichtert das Programm „Willkommen im Fußball“ Woche für Woche mehr als 800 Jugendlichen die Integration in die Gesellschaft. Dabei setzt es auf Willkommensbündnisse. Dahinter steht die Kooperation eines Clubs der Bundesliga oder 2. Bundesliga mit lokalen Bildungsträgern, bürgerschaftlichen Initiativen oder kommunalen Akteuren sowie Amateurfußballvereinen. Damit eröffnet das Programm jungen Geflüchteten Chancen zur sozialen Integration sowie persönlichen Entfaltung und festigt lokale Strukturen der Integrationsarbeit.

Mehr Informationen zu „Willkommen im Fußball“ finden Sie hier.