Lea Hinnen erklärt den Teilnehmenden eine Übung. Lea Hinnen ist Projektleiterin bei der Scort Foundation und verantwortet Fußballausbildungsprojekte in der ganzen Welt. © Scort - The Football Club Social Alliance

10.03.2023

Nachgefragt bei Lea Hinnen: „Es ist beeindruckend, wie sich Teilnehmer*innen weiterentwickeln können“

Es braucht eigentlich keinen Weltfrauentag mehr, um zu wissen, dass Frauen und Fußball zusammengehören wie Kino und Popcorn. Wir haben mit der früheren Semi-Pro-Kickerin Lea Hinnen (29) gesprochen, die jetzt als Projektleiterin bei der Scort Foundation in der Schweiz arbeitet. In einem ausführlichen Gespräch schildert sie, welche spannenden Projekte sie koordiniert, was ihr ein sozialer Job gibt und warum es für sie so schwer war, weibliche Vorbilder zu finden.

Liebe Lea, was ist dein Job bei der Scort Foundation? Wie sieht so ein typischer Tag in deinem Berufsleben als Projektleiterin aus?

Das Gute ist: Kaum ein Tag ist bei mir wie der andere. Es kommt nämlich darauf an, ob ich ein Projekt vor Ort betreue – das heißt irgendwo in Europa oder auf einem anderen Kontinent – oder, ob ich mich in der Vorbereitungs- bzw. Nachbereitungsphase befinde. Bin ich vor Ort, verantworte ich die ganze Koordinierung des Programms, helfe bei der Umsetzung und leite auch hier und da Workshops. Vorher und hinterher ist es vorwiegend klassische Büroarbeit. Aber selbst die kann spannend sein. In der Vorbereitung tausche ich mich zum Beispiel viel mit den Fußballvereinen und lokalen Partnerorganisationen aus, mit denen wir kooperieren. Dann geht es darum, Teilnehmer*innen für die Projekte zu rekrutieren. Im Grunde trage ich die Verantwortung für alles Operative rund um die Fußballausbildungsprojekte mit der Football Club Social Alliance, kurz FCSA.

Kannst du kurz erklären, was die FCSA ist?

Die FCSA wurde 2007 von der Scort Foundation, die ihren Sitz in Basel in der Schweiz hat, ins Leben gerufen. Sie ist ein Netzwerk von derzeit sechs europäischen Profivereinen, die mit unterschiedlichen Initiativen, Aktionen und Projekten für den sozialen Wandel eintreten – im Rahmen der FCSA vornehmlich in Konflikt- und Krisengebieten. Der FC Basel 1893 ist dabei, der SV Werder Bremen, der FC Schalke 04, Bayer 04 Leverkusen, der 1. FSV Mainz 05 und der FK Austria Wien.

Welchen Zweck verfolgt denn die Scort Foundation?

Grundsätzlich ist unser Stiftungszweck die friedensfördernde Arbeit in Form von Ausbildungsprojekten im Sport. Es gibt zwei Säulen. Einerseits sensibilisieren wir für verschiedene Themen, wie zum Beispiel Sport für Geflüchtete – gemeinsam mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR und der Olympic Refuge Foundation koordinieren wir die „Sport for Refugee Coalition“. Die zweite Säule ist die bereits erwähnte operative Schiene, um die ich mich federführend kümmere.

Lea Hinnen mit Kolleg*innen
Bei der Young Coach-Ausbildung werden junge Erwachsene auf der ganzen Welt in ihrer Persönlichkeit, ihrer Führungsrolle und ihren Coachingfähigkeiten gefördert. © Scort - The Football Club Social Alliance

Was machst du da konkret?

Also ein großes Projekt bei uns ist die Young Coach-Ausbildung, die wir mit den Vereinen der FCSA rund um den Erdball durchführen. Dabei geht es darum, junge Erwachsene in ihrem Dasein, in ihrer Führungsrolle und ihren Coachingfähigkeiten zu fördern. Der Fußball kann dabei als Instrument zur Integration von geflüchteten Kindern in ihre neuen Gemeinschaften dienen. Wir waren zum Beispiel schon in Kolumbien, in Mexiko, im Libanon oder in Ruanda, das sich immer noch von den Folgen des Völkermordes 1994 erholt. Zusammen mit dem UNHCR hat die FCSA in Ruanda 85 Geflüchtete zu Breitenfußballtrainer*innen ausgebildet, damit sie in den Flüchtlingscamps strukturierte Aktivitäten anbieten können. Das ist ein Projekt, bei dem sich wirklich zeigen lässt, wie wichtig Sport im Leben von jungen Menschen sein kann. Insgesamt haben wir schon mehr als 800 Trainer*innen ausgebildet, von deren Arbeit weltweit mehr als 110.000 Kinder profitieren.

Ihr leistet also wichtige Entwicklungsarbeit.

Ja, Hilfe zur Selbsthilfe würde ich sagen. Wir kommen nicht irgendwo hin und wollen die Leute entwickeln, weil sie das selbst nicht hinkriegen. Wir möchten ihnen vielmehr ein Tool an die Hand geben, mit dem sie selbst vor Ort Projekte umsetzen können. Wir wollen nachhaltige Strukturen aufbauen, bleiben dementsprechend auch noch Jahre nach Ende des Projektes in Kontakt, um zu gucken: Was brauchen die Coaches vor Ort noch?

Ein weiteres Projekt der Scort Foundation ist die Tandem Young Coach-Ausbildung, bei der junge Menschen mit und ohne Behinderung im Tandem lernen, als Fußballtrainer*in zu arbeiten. Warum ist dieses Projekt, das auch von der DFL Stiftung gefördert wird, besonders.

Die Idee dahinter ist, dass sich nicht einzelne Personen bewerben, sondern immer eine Person mit einer Behinderung und eine Person ohne Behinderung. Beide absolvieren die Ausbildung im Tandem. Es ist beeindruckend, wie beide Partner voneinander lernen.

Schön zu sehen, wie die Young Coaches daran wachsen, wenn sie selbst Trainings leiten dürfen, und oft erst während der Ausbildung merken, was sie eigentlich alles erreichen können.

Auch Tandempartner und Eltern machen oft emotionale Erfahrungen, wenn sie merken, sie dürfen ihrem Kind mehr zutrauen, als sie es bisher getan haben.

Lea Hinnen erklärt etwas im Sitzkreis.

Weibliche Vorbilder im Sport können eine wichtige Rolle für Mädchen und junge Frauen einnehmen. Inwiefern gilt das in besonderer Weise für den Fußball für Menschen mit Behinderung?

Also wenn ich mir überlege, wie schwer ich es früher fand, weibliche Vorbilder im Trainerbereich zu finden, dann dürfte es für Menschen mit Behinderungen noch viel schwerer sein. Wie oft sieht ein Mensch mit Behinderung jemanden in einer verantwortlichen Führungsposition, der oder die auch eine Behinderung hat? Genau das erreichen wir durch unsere Ausbildung von Trainer*innen mit einer Behinderung. Nicht nur, weil es cool ist, diesen Personen mehr Verantwortung zu geben, sondern auch weil es für diejenigen, die später von ihnen trainiert werden, wichtig ist, zu sehen: Hey, ich kann mich mit jemandem identifizieren, da ist eine gewisse Repräsentation da.

Du hast von weiblichen Vorbildern gesprochen. Kannst du drei nennen, die dich inspiriert haben?

Ich habe früher unter professionellen Bedingungen Fußball gespielt. In der Schweiz in der 1. Liga und am College in den USA.

Ich bin ehrlich: Für mich gab es keine wirklichen weiblichen Vorbilder im Fußball.

Vielleicht mit Abstrichen eine Mia Hamm oder eine Marta. Aber eigentlich habe ich Männern nachgeeifert. Damals habe ich gesagt: Boah, ich will spielen wie der Puyol. Außerhalb vom Fußball haben mich die Frauen beeindruckt, die um mich herum agiert haben. Zuvorderst meine Mutter natürlich, dann die Steffi, die eine Liga über mir gespielt und mich gefördert hat, oder jetzt im Arbeitsumfeld meine Kolleginnen, die mich tagein, tagaus inspirieren.

Gibt es weibliche Vorbilder bei der Tandem Young Coach-Ausbildung?

Ich muss ehrlich sagen: Das Involvieren von Frauen mit einer Behinderung war bisher eine Challenge bei dem Projekt. Umso wichtiger ist es ja, dass wir es weiterhin versuchen. Es kann doch nicht sein, dass es keine weiblichen Personen mit Behinderung im Fußball gibt. Sie sind natürlich schwerer zu finden, denn Fußball ist leider immer noch ein männerdominierter Sport. Zudem sind manche Eltern übervorsichtig und schicken ihre Kinder zu weniger kontaktbetonten Sportarten wie Schwimmen oder Tanzen.

Lea Hinnen erklärt den Teilnehmenden die Übung auf dem Fußballfeld.

Dein Arbeitgeber pusht mit diversen Projekten das soziale Engagement von jungen Menschen – warum bedeutet dir das so viel? Bist du auch über das Interesse für sozialen Support zu deinem Job gekommen? Oder anders gefragt: Warum kannst du dich mit der Stiftung so gut identifizieren?

Das Interesse für Jobs mit sozialen Komponenten war schon immer da, aber ich habe erst im Studium so richtig gemerkt, dass ich dieses Interesse mit Sport verbinden kann. Sowohl in meiner Bachelor- als auch in meiner Masterarbeit habe ich mich damit beschäftigt, wie Sport auf die Integration und auf das Sozialkapital wirkt. Durch die Recherche bin ich an eine Organisation geraten, die sich Coaches Across Continents nennt und für die ich dann als Volunteer drei Monate in Kamerun und Südafrika gearbeitet habe. Da ging es auch darum, junge Menschen auszubilden, um über den Sport soziale Themen weiterzugeben. Durch meinen alten Trainer beim FC Basel, der dort auch als Instruktor für die FCSA arbeitet, habe ich dann von der Scort Foundation gehört.

Der Job gibt mir unheimlich viel. Der konkrete Kontakt zu den Begünstigten gefällt mir, weil ich miterleben darf, wie sich diese Menschen weiterentwickeln, gerade Menschen mit Behinderungen.

Es ist beeindruckend, wie sich Teilnehmer*innen von Tag eins entwickeln können. Da kam zum Beispiel ein Junge mit Autismus in eine Tandem-Ausbildung. Am Anfang hatte er Schwierigkeiten, dir in die Augen zu schauen. Nach fünf Tagen konnte er aber Trainingseinheiten mit einer Gruppe von 15 Kindern leiten. In jedem steckt superviel Potenzial, man muss es nur fördern. Und natürlich finde ich an meinem Job auch gut, dass ich meine Leidenschaft für den Fußball einbringen kann.

Man sagt, dass sich Frauen im Allgemeinen sehr viel mehr sozial engagieren – kannst du dieser These aus der Erfahrung deiner täglichen Arbeit zustimmen? Inwiefern spielt das Thema Gleichberechtigung bei deiner Arbeit eine Rolle?

Oha, die Frage ist schon ein wenig plakativ formuliert. Betrachtet man es rein statistisch, dann ist es tatsächlich so, dass zum Beispiel im Berufsfeld Soziale Arbeit der Frauenanteil größer ist. In meinem Umfeld kann ich das nicht bestätigen. Wir bei der Stiftung sind auch mehrheitlich Frauen, aus welchem Grund auch immer. Aber wenn ich mir anschaue, wen wir ausbilden: Zwei Drittel sind Männer, die meisten arbeiten auf gemeinnütziger Ebene mit Kindern. Je nach Land und Kultur ist es zudem unterschiedlich schwierig, Frauen für den Fußball zu gewinnen.

Wie würdest du Werbung für ein soziales Engagement machen?

Zunächst ist es wichtig, dass die Leidenschaft für das soziale Engagement in einem steckt bzw. man sich in einem Bereich engagiert, wo auch eine Leidenschaft liegt. Andernfalls ist es sinnlos, sich in dem Bereich zu engagieren. Wenn das aber der Fall ist, dann bekommt man so viel zurück.

Zu wissen, dass man als Coach ein so wichtiger Faktor für den Werdegang eines Menschen ist, tut mir gut.

Letzte Frage: Ihr seid eine friedensfördernde Stiftung – ein Thema, aktueller denn je, oder?

Genau. Wir bereiten aktuell eine Young Coach-Ausbildung für die Ukraine vor. Ähnliches haben wir dort schon 2017 gemacht für die Binnenvertriebenen. Jetzt wollen wir im Nachbarland Rumänien Young Coaches ausbilden, nicht um humanitäre Hilfe zu leisten, das ist nicht unser Job. Wir wollen Kindern, die vom Krieg betroffen sind, über den Sport psychosozialen Support bieten. Unsere 45 Teilnehmer*innen kommen daher nicht nur aus der Ukraine, sondern auch aus Polen, der Republik Moldau und Rumänien.

Fotos: Scort – The Football Club Social Alliance