08.03.2023
08.03.2023
Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März haben wir uns bei der DFL Stiftung mit zwei Frauen aus unserem Umfeld unterhalten, um euch einen Einblick in ihren Alltag zu gewähren. Welche Herausforderungen meistern sie, wofür setzen sie sich ein und welche Botschaft wollen sie jungen Menschen mit auf den Weg geben? Den Anfang macht Lena Hentschel (21) – erfolgreiche Wasserspringerin, Medaillengewinnerin bei den Olympischen Spielen und #ZukunftBewegen-Protagonistin.
Liebe Lena, wie wird man Wasserspringerin? Erzähl uns von deinen Anfängen.
Der Zufall spielte anfangs eine große Rolle. Mein Papa war als Gewichtheber selbst Leistungssportler und hat damals in der gleichen Halle wie die Wasserspringer*innen trainiert. Weil ich schon immer eine Wasserratte war, haben meine Eltern eine Sportart gesucht, bei der man mich ins Wasser stecken konnte. Schwimmen fanden meinen Eltern zu langweilig für mich, da ich schon immer ein sehr lebendiges Kind war und viel gesprungen bin. Und dann haben sie mich mit fünf Jahren zum Probetraining bei den Wasserspringer*innen geschickt. Seitdem komme ich da nicht mehr raus (lacht), bei Wettkämpfen springe ich noch immer für den Berliner TSC.
Du hast mit nur 20 Jahren eine Bronzemedaille im Synchronspringen bei den Olympischen Spielen in Tokio gewonnen. Was hat dieser Erfolg in dir ausgelöst?
Zunächst habe ich Wochen, wenn nicht sogar Monate gebraucht, um wirklich zu realisieren, was da eigentlich passiert ist. Für meine Partnerin und mich war es schon das Größte, überhaupt bei Olympia dabei sein zu dürfen. Und dann standen wir plötzlich auf dem Treppchen. Erst nach und nach habe ich gemerkt, was da für ein Rattenschwanz dranhängt. Es war überwältigend zu sehen, wie viele Menschen an mich gedacht haben, wie viele sich den Wettkampf angeschaut haben und wie viele Glückwünsche ich erhalten habe. Und natürlich war es toll, wie viele junge Springer*innen nach unserer Medaille gesagt haben: Wow, Wasserspringen ist eine coole Sportart, das möchte ich auch machen. Es gab an den Stützpunkten sogar einen kleinen Nachwuchsboom. Viele sehen in mir ein Vorbild, wobei ich es schwierig finde, mit 21 Jahren über sich selbst zu sagen, dass man ein Vorbild ist.
Apropos Vorbilder: Kannst du drei weibliche nennen, die dich inspirieren?
Zwei Athletinnen finde ich inspirierend, die zu Zeiten meiner Eltern große Erfolge gefeiert haben. Zum einen Eiskunstlaufstar Katharina Witt, die in sehr jungen Jahren schon alles erreicht hat. Wie sie mit dem Erfolg umgegangen ist und wie sie es heute noch schafft, junge Mädchen für den Sport zu motivieren, finde ich großartig. Sie ist eine große Persönlichkeit weit über den Sport hinaus. Auch die frühere Schwimmerin Britta Steffen mag ich sehr gerne. Sie war und ist heute noch ein großes Vorbild für viele junge Sportlerinnen, denn sie ist dem Sport als Laufbahnberaterin am Olympiastützpunkt erhalten geblieben. Was sie dem Sport zurückgibt, finde ich sehr schön zu sehen. Sie hat für jeden Athleten und jede Athletin immer ein offenes Ohr, ist immer fröhlich und total bodenständig. Die Dritte im Bunde ist natürlich meine Mama. Was wäre ich ohne sie? Sie hat meinen Werdegang immer vorangestellt, ist mit mir jeden Tag zum Training gefahren und hat mir nie Steine in den Weg gelegt.
Du hast gesagt, dass es nach eurer Medaille in Tokio einen kleinen Nachwuchsboom im Wasserspringen gab. Wie würdest du denn jungen Mädchen die Sportart schmackhaft machen?
Das Faszinierende am Wasserspringen ist die Vielfältigkeit, weil viele Sportarten miteinander verbunden werden. Wir wären wahrscheinlich auch gute Trampolinspringerinnen, weil wir viele turnerische Elemente trainieren. Außerdem finde ich es schön, dass man etwas kann, was nicht jede kann. Sehr wenige Menschen können von sich behaupten, dass sie von einem Dreimeterbrett springen und dabei dreieinhalb Vorwärtssaltos mit einer Schraube machen. Beim Wasserspringen lernst du jeden Tag etwas Neues, strebst bis ans Ende deiner Karriere nach Perfektion. Obwohl man denken könnte, wir seien Einzelsportlerinnen, ist uns der Teamspirit wichtig. Beim Synchronspringen sowieso.
Wie hat der olympische Erfolg dein Leben verändert?
Er hat mir die Tür geöffnet, in den USA studieren zu können. Nach der Medaille hat mir eine Universität ein Vollstipendium angeboten, was ich sehr schmeichelnd fand, aber ich wollte nicht an diese Uni. Dann habe ich mithilfe einer Agentur an circa 30 Unis in den USA Bewerbungen geschrieben und ungefähr 30 Angebote für Vollstipendien erhalten. Ich musste nicht lange überlegen, um über den großen Teich zu hüpfen. Ich habe mich nämlich nicht bei der Bundeswehr oder bei der Polizei gesehen. Diesen Weg gehen in Deutschland viele Sportler*innen aus Randsportarten, um ihre sportliche Karriere auf höchstem Niveau weiterführen zu können. In den USA steht Wasserspringen mehr im Mittelpunkt, Wettkämpfe werden auch außerhalb von Olympischen Spielen im TV übertragen. In Deutschland sitzen bei Deutschen Meisterschaften oft nicht mehr als ein paar Eltern auf der Tribüne.
Du studierst jetzt Journalismus in den USA und springst mittlerweile an der Ohio State University in Columbus – wie können wir uns so einen Tag an einer amerikanischen Uni vorstellen?
Ich habe morgens von circa 7 bis 10 Uhr Training, danach Vorlesungen und dann nachmittags oder am frühen Abend noch einmal circa zwei Stunden Training. Nach dem letzten Training versucht man, seine Hausaufgaben irgendwie hinzukriegen. Und am Wochenende finden oft Wettkämpfe gegen andere Universitäten statt.
Der Schritt über den großen Teich und das Wasserspringen – beides erfordert viel Mut, oder?
Ja, aber ich bin ein Mensch, der etwas erleben möchte. Mut gehört dazu. Ich möchte die Welt sehen, bin schon mit 17 Jahren von meinen Eltern weg – und nach Dresden umgezogen. Alles wegen Olympia, um dort mit meiner Synchronpartnerin trainieren zu können. Den Weg danach in die USA hat vor mir noch keine Teamkameradin aus der Nationalmannschaft eingeschlagen, aber ich wollte eben nicht das machen, was alle machen. Ich möchte jungen Sportlerinnen zeigen: Hey, es gibt auch andere Möglichkeiten. Ihr müsst euch nur trauen. Auch das Springen bedarf viel Mut. Wasserspringen verzeiht keine Fehler. Man kann nie sicher sein, was passiert. Ist man einen Moment unkonzentriert, hat man im Wettkampf keine Chance mehr.
Dein Motto ist „Ohne Spaß – kein Erfolg“ – wie lebst du diese Maxime im Alltag?
Ich versuche, jeden Tag mit einem Lächeln zum Training zu kommen, auch wenn es mal schwierig ist. Zum Beispiel bin ich aktuell sehr im Jetlag gefangen. Aber trotzdem versuche ich jeden Tag, mit einer positiven Stimmung in den Tag zu starten und mich mit Kleinigkeiten aufzumuntern. Wenn das dann jemandem auffällt, bin ich glücklich. Nach dem Motto: Hey, du bringst wirklich eine gute Stimmung ins Team. Ich liebe meinen Sport und bin unglaublich dankbar, was mir der Sport gegeben hat. Da kann man nur lachend ins Training kommen.
Du hast in jungen Jahren schon so viel erreicht – wie lauten deine Ziele für die Zukunft – sowohl sportlich als auch beruflich?
Sportlich habe ich durch die Olympiamedaille Blut geleckt. Für Paris 2024 bin ich noch nicht qualifiziert, das wäre das nächste große Ziel. Als Fernziel möchte ich auch noch in Los Angeles 2028 dabei sein. Und danach, so glaube ich, fange ich an zu leben. Ich glaube, ich habe im Sportjournalismus ganz gute Chancen, Fuß zu fassen. Gerne als TV-Journalistin. Ich bin aber auch sehr an internationaler Politik interessiert. Bestenfalls lässt sich beides miteinander kombinieren. Sport und Politik rückt ja, leider Gottes, immer näher zusammen.
Inwiefern spielt das Thema Gleichberechtigung in deinem Sport eine Rolle?
Ich hatte im Sport noch nie das Gefühl, benachteiligt zu werden, weil ich eine Frau bin. Aber manchmal könnten unsere Leistungen mehr anerkannt werden. Aufs Beispiel Wasserspringen bezogen heißt das: Laut Reglement springen die Männer in einem Wettkampf sechsmal, wir fünfmal. Eine wirkliche Erklärung dafür gibt es aber nicht. Frei nach dem Motto: Das stärkere Geschlecht soll auch beweisen, dass es stärker ist. Ich hätte nichts dagegen, wenn das eines Tages mal angeglichen wird. Auch am Beckenrand gibt es noch eine deutliche Dominanz männlicher Trainer. Das kann ich mir nur mit historischen Gründen erklären, da der Beruf sehr aufwendig ist und man viel reisen muss. Und früher war es nun mal so, dass Frauen eher zu Hause geblieben sind und auf die Kinder aufgepasst haben. Ich bin auch ehrlich. Ich kann mir nicht vorstellen, im Profibereich als Trainerin zu arbeiten. Was ich machen würde, ist dem Nachwuchs ehrenamtlich die Faszination fürs Wasserspringen weiterzugeben.
Du bist Protagonistin von #ZukunftBewegen: Warum ist dir diese Initiative so wichtig?
Zunächst habe ich mich sehr gefreut, als ich gefragt wurde, ob ich Teil dieser Initiative sein möchte. Ich finde es unglaublich wichtig, dass junge Menschen dazu animiert werden, Sport zu treiben. Sport kann so viel geben: Gesundheit, soziale Aspekte, Sport ist nicht nur Schulsport, sondern Sport ist einfach viel mehr. Junge Menschen sollten sich in allen möglichen Sportarten ausprobieren dürfen und dadurch aus sich herauskommen. Der Sport hat mich in meiner Persönlichkeit sehr geprägt.
Gibt es ein Thema, das dir besonders am Herzen liegt und für das du dich gerne einsetzen möchtest?
Die Special Olympics World Games, die in diesem Jahr in meiner Heimatstadt Berlin stattfinden, liegen mir sehr am Herzen. Es ist die weltweit größte inklusive Sportveranstaltung. Die Botschaft finde ich einfach genial: Denn Sport macht keine Unterschiede. Sport grenzt nicht aus, im Sport ist jeder und jede gleich. Wir Athletinnen sollten diese Botschaft in die Welt tragen: Sport schafft Verbindungen, Sport hat keine politischen Barrieren, Sport ist einfach etwas, das man gemeinsam macht, das man gemeinsam genießen kann, bei dem man gemeinsam erfolgreich sein kann.