17.06.2022
17.06.2022
Bei der „Tandem Young Coach-Ausbildung“ lernen junge Menschen mit und ohne Behinderung im Tandem, als Fußballtrainer*innen zu arbeiten. Autorin Mara Pfeiffer hat Anfang Juni ein Tandem in Mainz begleitet.
„Drei – zwei – eins!“ „Fuß!“ Tumulte auf dem Kunstrasenplatz am WOLFGANG FRANK CAMPUS des Mainzer Bruchwegs. Zehn, fünfzehn, zwanzig Füße suchen Kontakt mit Fußbällen. Kinder lachen, stolpern, überlegen, die Zunge zwischen die Lippen gepresst. Fabian Schwalbach sieht der Gruppe zu. Er ist hochkonzentriert. Der 22-Jährige war es, der gerade das Wort „Fuß“ über den Platz gerufen hat, nachdem sein Trainer Bruno Pasqualotto von drei runtergezählt hatte.
Fabian, den hier alle Fabi nennen, beobachtet die Gruppe und erspäht einen Jungen, der – mit einem Fuß auf dem Ball – alleine sein Gleichgewicht nicht halten kann. Der junge Mann sucht Blickkontakt mit Bruno, der ihm aufmunternd zunickt. Fabi nähert sich dem wackeligen Jungen, umfasst vorsichtig seine Arme und hilft ihm dabei, festen Halt zu finden. Die beiden strahlen einander an.
Es ist genau diese Szene, die dazu führt, dass Instruktor Tim Müller später ein dickes Sonderlob für Fabi aussprechen und ihm eine besondere Gabe attestieren wird. „Du siehst Dinge, nimmst wahr, was wichtig ist!“ Doch das weiß der Blondschopf mit Trisomie 21, der an der „Tandem Young Coach-Ausbildung“ teilnimmt, in diesem Moment in der Hitze eines Junimorgens noch nicht. Fabi ist einfach nur zufrieden damit, erfolgreich Hilfestellung geleistet zu haben.
Insgesamt zwölf „Tandems“ sind in dieser Juniwoche in Mainz zu Gast: Jugendliche und junge Erwachsene mit körperlicher oder geistiger Behinderung, samt einer Vertrauensperson – oft Trainer*innen. Gemeinsam nehmen sie an der besonderen Ausbildung der SCORT Foundation, organisiert von der Football Club Social Alliance, teil. Unterstützt wird die Ausbildung, die fünf Tage dauert, von der DFL Stiftung und der DFB-Stiftung Sepp Herberger. Ziel ist, Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen zu befähigen, im Fußball als Trainer*in tätig zu sein. Für Fabi ist es ein Heimspiel: Er ist riesiger Fan vom 1. FSV Mainz 05 und begeistert davon, hier zu sein.
Am ersten Tag steht in der MEWA Arena zunächst Teambuilding und Kommunikation auf dem Programm: Ohne geht im Teamsport schließlich nichts! Nachmittags beschäftigen die jungen Teilnehmer*innen sich mit dem Handbuch, in dem verschiedene Übungseinheiten in leichter Sprache und mit gut verständlichen Illustrationen aufgeführt sind. Nach der Kaffeepause folgt die Einheit in Selbstwahrnehmung: Wie ist es, im Stadion mit Rollstuhl unterwegs zu sein? Das ist eine ganz neue Erfahrung für alle Beteiligten.
Fabi spielt Fußball, seit er denken kann. Früher mit Freund*innen oder auch mal mit seiner älteren Schwester. „Die ist aber schon lange ausgezogen.“ Er lacht. Seit 2013 gehört Fabi zum „Team United“, der inklusiven Fußballmannschaft von Teutonia Köppern. Bruno ist dort sein Trainer und zudem Gründer des Teams. Als Coach einer D-Jugend hat er vor zwölf Jahren einen Jungen mit kognitiver Beeinträchtigung in seine damalige Mannschaft geholt, der sich zuvor nur Absagen eingehandelt hatte. „Die Jungs haben das überragend gemacht“, erinnert er sich. So entstand die Idee für ein inklusives Team, in dem inzwischen rund 60 Menschen allen Alters kicken.
Die Ausbildung in Tandems gibt es seit 2010. Entstanden ist sie aus dem „Special Youth Camp“ der SCORT Foundation. „Da haben wir gemerkt, dass die Kinder und Jugendlichen ein starkes Bedürfnis haben, etwas weiterzugeben“, erzählt Projektmanagerin Lea Hinnen. Sie hat in der Vergangenheit vor allem beeindruckt, wie beide Tandempartner voneinander lernen. Lebhaft erzählt sie von einem Vater, für den eine Vertrauensübung mit seinem behinderten Sohn eine emotionale Erfahrung war: Weil er es nicht kannte, sich auf den Jungen zu verlassen. „Es ist toll, zu sehen, wenn jemand merkt: Ich darf meinem Kind mehr zutrauen“, sagt Hinnen.
„Ich will Kindern Fußball beibringen“, erklärt Fabi, der total motiviert ist für seine Ausbildung. Wissensvermittlung, das kennt er aus der Arbeit im Kindergarten, der er mit Liebe nachgeht. Am zweiten Ausbildungstag erarbeiten die Tandems Übungseinheiten. Fabi und Bruno sind für die Aufwärmübungen zuständig. Eine davon, den Magneten, kennen sie aus ihrem eigenen Training. Fabi hat direkt eine Idee dafür, wie er sie vermitteln möchte. Dazu haben die Young Coaches mit Kindern aus einer Förderschule in dieser Woche gleich zweimal die Gelegenheit.
Auch fünf so genannte Instruktor*innen aus Proficlubs arbeiten an diesen Tagen mit den jungen Menschen. Sie beobachten, notieren und helfen bei Fragen weiter. Willy Schmid (74) und Brigitta Fumagalli (67) sind vom FC Basel angereist. Sie arbeiten schon seit 2008 für die SCORT Foundation und ihre Ruhe färbt auf die jungen Traineranwärter*innen ab. Zwischen den Einheiten scherzt Brigitta gut gelaunt mit einem der Jugendlichen, Willy fachsimpelt mit einer Young Coach über einen Elfer, der am Vorabend in der Nations League gepfiffen wurde.
Es ist ein großer Moment für die Tandems, als die Kinder der Liesel-Metten-Schule aus Nieder-Olm am Gelände eintreffen, um an den erarbeiteten Trainings teilzunehmen. Die Schule hat den Förderschwerpunkt motorische Entwicklung, einige der Kids fahren mit dem Rollstuhl auf den Platz.
Bruno erklärt die erste Übung: Magnet. Das bedeutet, die Kinder müssen den Fußball an das Körperteil halten, das Fabi ihnen zuruft. Sie sind dabei total kreativ: Als Fabi „Kopf“ sagt, halten sie sich den Ball nicht unbedingt vor die Stirn, sondern legen ihn auf den Boden – und drücken den Kopf von oben dagegen. Ihr junger Coach klatscht begeistert in die Hände. Als nächstes müssen die Kinder die Hütchen auf dem Feld anlaufen oder -fahren.
Nach den beiden Übungen schaut Bruno seinen Tandempartner an. „Möchtest du noch etwas sagen?“ Fabi überlegt kurz, bevor er sich an die aufmerksamen Kinder wendet: „Das habt ihr alle ganz toll gemacht“, erklärt er, es klingt ein bisschen feierlich. Petros stupst Harem in die Seite, die beiden grinsen sich zu. Dann hebt Fabi seinen Finger in die Luft und ergänzt: „Aber nicht vergessen, immer weiter zu üben!“ Die Kinder nicken mit ernsthaften Gesichtern.
Timo Podsendek (45), Elisabeth Brauer (29) und Tim Müller (41) komplettieren diesen Sommer das Team der Instruktor*innen. Timo ist SPIELRAUM-Gestalter beim SV Werder Bremen und bei SCORT der Frischling der Fünf, Elisabeth ist Projektverantwortliche von „Einfach Fußball“ bei Bayer 04 Leverkusen, Tim Lehrer an einer Förderschule und nebenberuflich bei Bayer tätig. Während Fabi und Bruno ihre Übungseinheiten abhalten, macht Tim sich im Hintergrund Notizen.
Später sitzen die Drei im einsetzenden Nieselregen auf dem Feld: Feedbackgespräch. Es ist der Moment, in dem Fabi sein Sonderlob bekommt. „Es macht einen guten Trainer aus, dass er Dinge sieht“, erklärt Tim. Fabi ist sichtlich stolz. Positiv findet Tim auch, dass zwischen den Übungen nichts umgebaut werden muss. Und er lobt, wie Fabi und Bruno kommunizieren: „Man sieht gleich, dass ihr beiden ein Team seid.“ Bruno und Fabi schauen einander an, sie grinsen. Als Tipp gibt Tim dem Tandem mit, ihre Übungen mit nicht mehr als drei Sätzen zu erklären, damit es nicht zu kompliziert wird oder zu lange dauert für die Kids.
Lea Hinnen erzählt, wie die Young Coaches daran wachsen, selbst Trainings leiten zu dürfen – und wie viel es gleichzeitig ihren Schützlingen bedeute. Für diese sei es ein weiteres Zeichen dafür, was auch sie selbst alles erreichen können. Derweil sortieren Brigitta und Elisabeth am Spielfeldrand Hütchen, denn zum Abschluss des Tages dürfen die Tandems selbst Spieler*innen sein: Ein Turnier steht an. Dafür teilen sie sich in Gruppen und Erfinden ulkige Teamnamen.
Obwohl das Gewinnen nicht im Vordergrund stehen soll, zählt Fabi die Tore fleißig mit. Nach der zweiten Niederlage ist ihm sein Frust anzumerken. Bruno versucht, ihn aufzumuntern. Im dritten Spiel erzielt Fabi vier Tore, das versöhnt ihn mit einer neuerlichen Pleite. Spielerisch lernen die Coaches hier ein weiteres Thema: Frustrationstoleranz. Auch die gehört dazu.
Spätestens, wenn Fabi in der MEWA Arena auf dem Rasen steht, hat er ohnehin jeden Anflug von Frust vergessen. Dann rennt er jubelnd in die Kurve und winkt imaginären Fans zu. „Das ist auch sein Ritual vor jedem Training bei uns“, lacht Bruno. „Ich bin der größte 05-Fan“, sagt Fabi. Man glaubt ihm das sofort. Daneben aber ist er ein großer Fußballfan, der sehr gerne mit Kindern zu tun hat. Deswegen freut er sich schon darauf, sein neues Wissen bald in eigenen Einheiten weiterzugeben. Im Verein sollen ab Herbst erstmals auch U9-Kids an den Trainings teilnehmen können. Ihr Coaching-Tandem ist dann Bruno und Fabi: „Das wird so super!“
Text: Mara Pfeiffer