Ein Mädchen hangelt sich an weißen Ring voran Foto: Getty Images/Ina Fassbender

01.06.2022

Nachgefragt: Potenziale und Relevanz von Kinderschutz

Kinder und Jugendliche stehen für die DFL Stiftung im Fokus: Im und durch den Sport sollen sie in ihrer Persönlichkeit und Entwicklung gestärkt werden. Dafür benötigen sie den Schutz und die Unterstützung ihres Umfelds – die Leitplanken dafür kann ein Kinderschutzkonzept geben. Welche Potenziale im Thema Kinderschutz stecken und wie der Prozess zur Entwicklung eines solchen Konzepts aussieht, erklären Franziska Fey, Vorstandsvorsitzende der DFL Stiftung, Clarissa Sagerer-Schlockermann, Koordinatorin Förderung bei der DFL Stiftung, und Niklas Alof, Programme Manager Sports bei der Kindernothilfe.  

Portraitfoto von Niklas Alof (Quelle: Christian Herrmanny)

Niklas Alof, Programme Manager Sports Kindernothilfe (Foto: Christian Herrmanny)

Niklas, die Kindernothilfe hat sich gemeinsam mit der DFL Stiftung vor mehr als einem Jahr auf den Weg gemacht, ein Kinderschutzkonzept für die Stiftung zu entwickeln. Wie kann man sich diesen Prozess vorstellen?

Bevor es überhaupt losging, hat die DFL Stiftung festgelegt, wer im eigenen Haus für das Thema Kinderschutz verantwortlich sein soll, es wurde ein internes Kinderschutz-Projektteam gebildet. Das war sehr hilfreich, weil wir so klare Ansprechpersonen bei der DFL Stiftung hatten.

Den Startschuss für die Umsetzung bildete ein Kick-Off für alle Mitarbeitenden der DFL Stiftung. Dort ging es um die Themen Kinderschutz und Kinderrechte und wir haben konkrete Anknüpfungspunkte zur alltäglichen Arbeit hergestellt.

Im weiteren Prozess haben wir unterschiedliche Arbeitseinheiten zu den Bausteinen eines ganzheitlichen Kinderschutzsystems mit den jeweiligen Beteiligten durchgeführt. Wir, die Kindernothilfe, haben dabei den Kinderrechtsinput gegeben, die DFL Stiftung hat diesen an ihre Arbeitsrealität angepasst und angewendet.

Kinderschutzkonzept

Ein Schutzkonzept hilft beispielsweise Schulen, Kindertagesstätten, Sportvereinen oder sportnahen Institutionen, Kinder und Jugendliche in ihren Rechten zu stärken, wirksam und präventiv vor physischer und psychischer Gewalt zu schützen und Fälle von Gewalt gegenüber Kindern sichtbar zu machen sowie aufzuklären. Das Konzept gibt Leitplanken zu Fragen wie: Wie erkenne ich, wenn ein Kind Gewalt erlebt hat? Wie kann ich Risiken identifizieren, einschätzen und Präventivmaßnahmen ergreifen? Wie gehe ich mit Verdachtsfällen um und welche Schutzmöglichkeiten bietet das deutsche Rechtssystem?

Portraitfoto von Franziska Fey

Franziska Fey, Vorstandsvorsitzende DFL Stiftung

Franziska, die DFL Stiftung setzt sich seit 2008 für Kinder und Jugendliche ein. Was bedeutet für euch „Kinderschutz“? 

Mit unseren Programmen setzen wir uns dafür ein, Kinder und Jugendliche bei der Entfaltung ihrer Potenziale zu stärken – im, durch und im Kontext Sport. Wir sehen sie dabei als eigenständige Persönlichkeiten, ausgestattet mit allen Grundrechten. Daher ist es uns ein besonderes Anliegen, Kinder und Jugendliche ernst zu nehmen, ihnen Gehör zu verschaffen und sie zu unterstützen. Als Stiftung aus dem Sportumfeld sind wir uns aber auch der besonderen Schutzbedürftigkeit junger Menschen bewusst.

Die Corona-Pandemie mit ihren Folgen für Kinder und Jugendliche hat uns noch einmal darin bestärkt, das Wohl junger Menschen ins Zentrum unseres Handelns zu stellen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen: Auf der Grundlage der UN-Kinderrechtskonvention haben wir damit begonnen, ein Kinderschutzkonzept zu entwickeln, das zukünftig allen Mitarbeitenden sowie Partnern der DFL Stiftung als Handlungsrahmen dienen soll.

„Mit dem Konzept möchten wir Kindeswohlgefährdungen sowohl psychischer als auch physischer Art präventiv entgegenwirken und im Zweifelsfall über ein professionelles Fallmanagement reagieren können.“ – Franziska Fey, DFL Stiftung

Was ist das Ziel, das ihr mit dem Konzept verfolgt?

Mit dem Konzept möchten wir Kindeswohlgefährdungen sowohl psychischer als auch physischer Art präventiv entgegenwirken und im Zweifelsfall über ein professionelles Fallmanagement reagieren können. Darüber hinaus nutzen wir die Arbeit am Konzept, um Kinder und Jugendliche noch besser einzubeziehen, und sensibilisieren intern und extern für die Anliegen von Kindern und Jugendlichen.

Portraitfoto von Clarissa Sagerer-Schlockermann

Clarissa Sagerer-Schlockermann, Koordinatorin Förderung DFL Stiftung

Clarissa, du bist Teil des von Niklas angesprochenen internen Projekt-Teams der DFL Stiftung, welches das Thema „Kinderschutz“ federführend bearbeitet hat. Kannst du uns ein Beispiel nennen, wie das Konzept in der Praxis eingesetzt wird?  

Es gibt sehr viele Bereiche innerhalb der DFL Stiftung, bei denen es Berührungspunkte mit den erarbeiteten Leitlinien gibt. Um zwei Beispiele zu nennen: Bereits bei der Personalauswahl machen wir transparent, welche Haltung wir gegenüber Kindern vertreten. Außerdem haben wir in unserer Kommunikationsabteilung Leitlinien für den Umgang mit Fotografien von Kindern während unserer Projektveranstaltungen festgelegt. Diese sind auch Grundlage für die Zusammenarbeit mit Externen, wie Fotograf*innen und Agenturen.

Niklas, welche Rolle nimmt die Kindernothilfe bei der Erarbeitung und Erstellung eines Kinderschutzkonzepts ein?

Meist begleiten wir den gesamten Prozess zum Aufbau eines ganzheitlichen Kinderschutzsystems in einer Organisation. Das bedeutet, dass wir zu den inhaltlichen Themen Kinderrechte und Kinderschutz schulen und bei der Umsetzung von Kinderschutzmaßnahmen sowie dem Schreiben des Kinderschutzkonzepts beraten. Wir führen aber auch einzelne Schulungen zu bestimmten Themen durch.

Leitfäden und Handreichungen sind gut und wichtig, haben jedoch oft eine begrenzte Wirkung im Alltag. Deshalb gehen wir darüber hinaus. Ein Kinderschutzkonzept kann nur dann gut funktionieren, wenn die zugrundeliegenden Maßnahmen nachhaltig umgesetzt und gelebt werden sowie eine entsprechende Haltung aufgebaut wird.

Das Thema betrifft oft Bereiche aus der gesamten Organisation: Es können sich beispielsweise interne Prozesse verändern, Personalthemen aufkommen oder die interne und externe Kommunikation muss neu beleuchtet werden. Es hilft uns sehr, dass unser Team vielseitig aufgestellt ist, mit Expert*innen aus den Bereichen Pädagogik, Jura, Sportwissenschaft oder auch Psychologie. So können wir die Fragestellungen aus den verschiedenen Abteilungen gut bearbeiten.

Kindernothilfe

Die Kindernothilfe setzt sich seit über 60 Jahren weltweit für Kinder und Jugendliche ein. Dabei arbeitet sie schwerpunktmäßig in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Kinder zu schützen, zu stärken und sie zu beteiligen ist Kern der Arbeit. In mehr als 30 Ländern hat sie annähernd 800 Organisationen dabei begleitet, Kinderschutzsysteme aufzubauen. Seit 2016 bringt sie diese Erfahrung auch in Deutschland ein und arbeitet unter anderem mit Akteur*innen aus dem Sport, KiTas, Schulen, Trägern der Kinder- und Jugendhilfe zusammen.

Clarissa, hinter euch liegt ein mehrmonatiger Prozess. Was steht am Ende?

Das Kinderschutzkonzept wurde finalisiert und vom Stiftungsvorstand verabschiedet. Auf das schriftliche Konzept folgt die Umsetzung. Das heißt, dass wir aktuell mit dem gesamten Team der DFL Stiftung die festgelegten Maßnahmen angehen. In der Kommunikation, im Personalmanagement und allen voran in der Projektförderung wollen wir das Konzept nun konkret mit Leben füllen. Dabei werden wir auch eng mit unseren Projektpartnern zusammenarbeiten.

Als fördernde Stiftung sind wir im Gegensatz zu unseren Partnern nur selten im direkten Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen in den Programmen. Daher werden wir unsere Partner eng in die Umsetzung einbeziehen, voneinander lernen und gemeinsam daran arbeiten, den Kinderschutz in den Programmen sicherzustellen oder auszubauen. Unterstützend planen wir interne und externe Schulungen zum Thema Kinderschutz. Außerdem werden wir zeitnah eine zentrale, externe und unabhängige Meldestelle einrichten, über die Verdachtsfälle gemeldet und von Fachpersonal bearbeitet werden können.

„Wir können jungen Menschen so viel ermöglichen, wenn wir sie stärken, ernst nehmen und beteiligen. So schützen wir sie, begleiten sie aber auch dabei, sich frei und sicher entwickeln zu können.“ – Niklas Alof, Kindernothilfe

Niklas, zum Abschluss: Warum sollten sich Organisationen mit dem Thema Kinderschutz auseinandersetzen? Welche Potenziale bietet das Thema?

Aus meiner Perspektive steckt da auf unterschiedlichen Ebenen sehr viel Potenzial drin. Wer sich dem Thema Kinderschutz intensiv widmet, wird schnell feststellen, dass es ohne die Beachtung der gesamten Kinderrechte nicht geht. Je mehr wir Kinder und Jugendliche beispielsweise am Entstehungsprozess eines Schutzkonzeptes beteiligen, desto größer wird dessen Wirksamkeit.

Häufig bekomme ich auch mit, dass unsere Kooperationspartner nicht nur ihre professionelle Perspektive auf das Thema verändern, auch die persönliche Sicht schärft sich und trägt dazu bei, dass wir als Gesellschaft unsere Kinder stärken.

Zu guter Letzt noch ein Punkt, der mir wirklich wichtig ist: Lasst uns bitte nicht nur aus der Perspektive der Angst auf das Thema schauen. Ja, wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen unbedingt vor Gewalt schützen, da gibt es gar keine Diskussion. Genauso wichtig ist es aber, dass wir auf ihre Potenziale schauen: Wir können jungen Menschen so viel ermöglichen, wenn wir sie stärken, ernst nehmen und beteiligen. So schützen wir sie, begleiten sie aber auch dabei, sich frei und sicher entwickeln zu können.