Israa und Toni leiten im Rahmen des Projekts GIRLS HUB einmal wöchentlich eine Fußball-AG für Mädchen in Gesundbrunnen. Foto: DFL Stiftung/Witters

11.10.2022

GIRLS HUB: „Ihr müsst einfach nur an euch glauben“

Das Projekt GIRLS HUB von AMANDLA stärkt Mädchen und junge Frauen aus strukturell benachteiligten Verhältnissen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und ermöglicht ihnen Zugang zu sicheren Orten und Angeboten mit vertrauten Bezugspersonen. Wir haben die beiden Trainerinnen Israa und Toni bei einer Fußball-AG für Mädchen in Berlin begleitet.

Um kurz nach vier wird es noch mal ein bisschen lauter, aufgeregter und hektischer in der ohnehin schon sehr lauten, aufgeregten und hektischen Sporthalle. Elif* tanzt. Samira umarmt Ajla, weil die ein blaues Leibchen für sie ergattert hat. Dana kickt den Ball voller Vorfreude ins Irgendwo und trifft dabei die tanzende Elif, die gerade eine letzte Pirouette drehen will, worauf der Lärmpegel noch einmal ansteigt.

Israa und Toni waren früher selbst Teilnehmerinnen der Fußball-AG, jetzt leiten sie das Training und sind Vorbilder für die Mädchen.

Endlich! Ein Spiel! Eine gute Stunde lang sind die Schülerinnen der fünften und sechsten Klasse um die Wette gelaufen, sie haben Zweikämpfe geübt und mit ihren Trainerinnen debattiert. Aber richtig schön wird der Nachmittag erst, als Toni und Israa um kurz nach vier die blauen und grünen Leibchen für das abschließende Trainingsspiel ausgeben. 20 Minuten noch!

Empowerment durch den Sport

„Wenn es nach den Mädchen ginge, würden sie den ganzen Nachmittag nur spielen“, sagt Toni, sie leitet gemeinsam mit Israa die Fußball-AG an der Vineta-Grundschule im Berliner Stadtteil Gesundbrunnen. Auch Toni kickt für ihr Leben gern, aber in ihrer AG soll es schon um ein bisschen mehr gehen. Um Respekt und Selbstbewusstsein, beides vereint sich im Konzept Empowerment, das Mädchen dabei unterstützt, einen angemessenen Platz in der Gesellschaft zu finden. Heute sollen sie erzählen, was ihnen zum Thema Selbstvertrauen einfällt. Schwierige Frage, „ist das, wenn ich mich selbst gernhabe?“ – „Wenn ich ein Tor schieße und mich darüber freue?“  – „Oder wenn ich den Ball habe und ihn einfach nicht abgebe, weil ich die Beste bin?“ – „Na, das ist dann eher eine schlechte Form von Selbstvertrauen“, sagt Toni, aber insgesamt ist sie ganz zufrieden mit den Antworten der Mädchen.

So selbstverständlich, wie Elif tanzt, Samira ihre Freundin Ajla herzt und Dana den Ball kickt, sollen sie sich später im Leben durchsetzen. In diesem Sinne wollen Toni und Israa den Mädchen immer wieder donnerstags zeigen, dass der Fußball, dieser im öffentlichen Bewusstsein immer noch männlich dominierte Sport, selbstverständlich auch Mädchen und Frauen offensteht. „Fußball ist geschlechtsneutral“, sagt Israa. Und wenn die Mädchen erstmal den Fußball erobert haben, steht ihnen dann nicht die ganze Welt offen?

Berlin Gesundbrunnen zählt wie der benachbarte Stadtteil Wedding zu den Gegenden, in denen Soziologen verstärkt „strukturell benachteiligte Verhältnisse“ verorten. Das Sozialunternehmen AMANDLA, eine gemeinnützige Organisation mit Projekten in Deutschland, Südafrika und den USA, hat sich ganz bewusst dafür entschieden, sein Projekt GIRLS HUB, ein Angebot des Safe-Hubs, in Gesundbrunnen und Wedding anzusiedeln.

Safe-Hub

Ein Safe-Hub ist ein geschützter Ort, der einen Sportplatz mit einem physischen Gebäude, in dem Bildungsangebote verwirklicht werden, miteinander verknüpft, um zur ganzheitlichen Förderung von Kindern und Jugendlichen beizutragen. Dieser wird gerade im Wedding gebaut. GIRLS HUB ist ein Projekt von Safe-Hub Berlin, in dem die Teilnehmerinnen an Chancengerechtigkeit herangeführt werden. Eine Komponente des Projekts bilden Fußball-AGs für Mädchen, von denen eine an der Vineta-Schule stattfindet (und in diesem Fall die Sporthalle zum geschützten Ort wird). Die DFL Stiftung unterstützt AMANDLA bei diesem Vorhaben finanziell.

„Unsere Bedarfsanalysen haben ergeben, dass es hier am besten passt“, sagt die Projektkoordinatorin Anna Winkler. Sie hat für AMANDLA den Kontakt zur Schule geknüpft, das Training zunächst selbst geleitet und später Toni und Israa dafür gewonnen, zwei 20 Jahre junge Frauen, die hier aufgewachsen sind. Auch das gehört indirekt zum Projekt. „Vor einem Jahr wussten die beiden nicht so recht, wie ihre Zukunft aussehen würde“, erzählt Anna Winkler. „Jetzt machen sie hier einen großartigen Job. Und ihre positiven Erfahrungen als Trainerinnen bei AMANDLA haben sie darin bestärkt, eine Ausbildung zur Sozialpädagogischen Assistentin zu starten.“

Anna Winkler von AMANDLA koordiniert das Projekt GIRLS HUB und ist u.a. Ansprechperson für Israa, Toni und die Teilnehmerinnen.

Anna Winkler kümmert sich um die Koordination und Organisation: Sie ist Ansprechperson, organisiert Ausflüge und Ferienprogramme, die darauf abzielen, den Zugang für Mädchen zu verschiedenen Sportarten weiter zu normalisieren und die Teilnehmerinnen mit weiblichen Vorbildern zusammenzubringen. Sie schaut auch mal vorbei, wenn die Mädchen sich dort zum Kicken treffen, wo die Jungs gern das große Wort führen. Die Mädchen können sich zwar sehr gut selbst wehren, aber es kann ja nicht schaden, ihnen dabei moralische Rückendeckung zu geben. Leider hat sich auch in Gesundbrunnen und Wedding noch nicht überall herumgesprochen, dass der Fußball für alle da ist.

GIRLS HUB: Erfolgreiche Entwicklung

Das Projekt ist offiziell im Sommer 2020 angelaufen, hat wegen Corona aber erst im vergangenen Jahr Fahrt aufgenommen. Der Erfolg? Kann sich sehen lassen. Israa und Toni erzählen, dass bei den Mädchen von Zurückhaltung oder Zaghaftigkeit nichts mehr zu spüren sei. Neulich hat Toni den Mädchen in der AG von ihren eigenen Erfahrungen erzählt. Wie sie mal auf den Bolzplatz ging und einfach nur mitspielen wollte. Die Jungs wählten sie bei der Zusammenstellung der Mannschaften als Letzte aus, weil in ihrer Vorstellungswelt ein Mädchen einfach nicht gut genug sein konnte. Toni ließ sich nicht beirren und spielte so stark auf, dass sie beim nächsten Mal zu den begehrtesten Mitspieler*innen zählte. „Ihr müsst einfach nur an euch glauben“, hat Toni den AG-Mädchen erzählt. „Dann könnt ihr alles schaffen!“

*Namen der Mädchen geändert

Text: Sven Goldmann
Fotos: DFL Stiftung/Witters